21 mal so viel für Gewaltschutz und Gleichstellung
Hintergrundinfos zur Kampagne der Allianz "Gewaltfrei leben"
Vor der Budgetrede ließen Vertreterinnen der Allianz "Gewaltfrei leben" 21 Luftballons mit Forderungen in den Himmel steigen. Jeder Luftballon steht dabei symbolisch für 10 Millionen: Denn 210 Millionen Euro und somit das 21fache des derzeitigen Budgets des Frauenministeriums sind gefordert um Gewaltschutz- und Gleichstellungsmaßnahmen effektiv umzusetzen! Die Allianz "Gewaltfrei leben", der auch der Österreichische Frauenring angehört, ist ein Zusammenschluss von über 30 Opferschtz und Zivilgesellschaftsorganisationen.
Wieso 210 Millionen Euro?
Das Referat zur Bewertung des europäischen Mehrwerts bezifferte im Jahr 2011 die Kosten, die innerhalb der EU durch geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen verursacht wurden, auf 228 Milliarden Euro. Das entspricht 1,8 % des EU-BIP oder 450 € pro EU-BürgerIn jährlich! In Österreich sind demnach Kosten von ca. 3,7 Milliarden Euro durch geschlechtsspezifische Gewalt entstanden.
Lediglich 25 € pro ÖsterreicherIn und somit 5,5 % der verursachten Kosten pro Person, sollten in Präventionsarbeit investiert werden. Deshalb werden für Gleichstellungs- und Gewaltschutzmaßnahmen 210 Million Euro gefordert, auch um langfristig volkswirtschaftliche Kosten reduzieren zu können.
Warum mehr Geld für Gleichstellung?
Die Forderung nach einer Budget-Erhöhung für Maßnahmen zur Herstellung einer tatsächlichen Geschlechtergleichstellung ist nicht neu – seit Jahrzehnten setzen sich Frauenorganisationen dafür ein. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat sich Österreich zur Umsetzung umfassender Gewaltschutzmaßnahmen verpflichtet. 2016 wurde Österreich durch ein internationales ExpertInnenkommittee (GREVIO) evaluiert. Seit September nun liegen die Empfehlungen des ExpertInnenkommittees schon vor – und sie untermauern die Forderung nach einer Erhöhung der finanziellen Mittel.
Effektiver Gewaltschutz kann nicht losgelöst von der Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit umgesetzt werden. Das Ministerium für Frauen, Familien und Jugend, das für die Umsetzung der Istanbul Konvention in Österreich zuständig ist, verfügt bisher über ein jährliches Budget von nur 10 Millionen Euro für Maßnahmen zur Gewaltprävention und Gleichstellung. Dieser Betrag ist viel zu niedrig. Die minimale Budgetierung von 10 Millionen Euro erlaubt keinen flächendeckenden Zugang zu Beratungsstellen, Frauenhäusern und anderen Hilfseinrichtungen. Es fehlen ausreichende Mittel zur Präventionsarbeit, Datenerhebung und der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen und Gesetzesevaluierungen.
Am 21. März 2018 präsentiert der Finanzminister im Nationalrat das Doppelbudget für die Jahre 2018/19. Ein sichtbares Bekenntnis der neu gewählten Regierung zu Gleichstellung und Gewaltprävention wäre nun wichtiger denn je!
Ohne angemessene finanzielle und personelle Mittel wird es nicht möglich sein, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu reduzieren bzw. diesen Formen von Gewalt vorzubeugen! Nicht zuletzt die hohen Folgekosten, die Gewalt gegen Frauen jährlich verursacht, machen eine Investition in Gewaltprävention immens wichtig.
Wofür braucht es Geld?
Auf den 21 Luftballons, die die Allianz Gewaltfrei leben in den Himmel steigen lässt, sind einige der zentralen Maßnahmen zu Gewaltschutz und Gleichstellung festgehalten, deren ausreichende Finanzierung nur durch eine Budgeterhöhung möglich sind. Dazu zählen:
1. Nationaler Aktionsplan gegen Gewalt: Um Frauen und Kinder besser vor Gewalt zu schützen, braucht es eine umfangreiche und langfristig angelegte Gesamtstrategie, die alle Formen der Gewalt gegen Frauen und Kinder miteinbezieht.
2. Gewaltprävention: Damit es gar nicht erst zu Gewalt kommt, muss intensiv in Gewaltprävention investiert werden.
3. Sensibilisierte Justiz: Opferschutzorganisationen bieten regelmäßig bewusstseinsbildende Schulungen u.a. für Polizeibeamt_innen und Richter_innen an, damit auch diese Anzeichen von Gewalt erkennen und lernen, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen.
4. Sichere Unterkünfte: Gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder brauchen Räume, in denen sie im Fall schnell und unkompliziert Schutz finden!
5. Familienfreundliche Hilfe: Kinder und Jugendliche sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen. Entsprechende Ressourcen für eine familienfreundliche Unterstützung müssen bereit gestellt werden.
6. Einrichtungen in ländlichen Gebieten: Außerhalb von größeren Städten gibt es oft nach wie vor keine Beratungseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen und Kinder.
7. Zugang für ALLE Frauen: Rechtliche und praktische Hürden müssen beseitigt werden, damit ALLE in Österreich lebenden Frauen und Kinder Beratungs- und Schutzeinrichtungen aufsuchen können.
8. Dolmetscher_innen: Nicht nur deutschsprachige Frauen erfahren Gewalt, daher braucht es Ressourcen für Dolmetscher_innen um Beratung in anderen Sprachen anbieten zu können.
9. Kostenlose Therapieplätze: Gewalterfahrung kann schwer traumatisieren; nicht alle Betroffenen von Gewalt haben aber derzeit die Möglichkeit ihre Erfahrungen in einem geschützten Raum aufzuarbeiten – ein Ausbau der Therapieplätze ist dringend nötig!
10. Spezifische Beratungsangebote: Nicht alle Frauen und Mädchen von derselben Gewalt und Diskriminierung betroffen. Es braucht spezialisierte Angebote für Frauen mit unterschiedlichen Gewalterfahrungen (etwa migrantische Frauen, Frauen mit Behinderungen, sowie lesbische Frauen, transgender Frauen, u.v.m.)
11. Opferschutzorientierte Täterarbeit: Damit ist die Arbeit mit Tätern gemeint, die Gewalt gegen die Partnerin oder Ex-Partnerin, ausüben, um die Gewalttätigkeit nachhaltig zu beenden.
12. Mehr Daten: Handlungsstrategien brauchen Datengrundlage. Die Finanzierung entsprechender geschlechtersensibler Forschungsprojekte zum Thema ist daher unverzichtbar!
13. Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Für die Arbeit zu Gewaltprävention-, schutz und Gleichstellung braucht es qualitativ hochwertige Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachpersonal!
14. Vernetzung: Die Vernetzung und der Austausch von Expert_innen untereinander brauchen Raum, Infrastruktur und Ressourcen.
15. Fachtagungen und Konferenzen: Im Rahmen von Fachtagungen und Konferenzen können sich Expert_innen aus dem Gebiet miteinander austauschen und voneinander lernen.
16. Internationale Zusammenarbeit: Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem. Durch internationalen Austausch können gemeinsam Strategien verglichen, weiterentwickelt und Best Practice-Modelle erarbeitet werden.
17. Infomaterial: Unterlagen (wie Broschüren, Flyer etc.) sind wichtig, damit Betroffene von Gewalt über ihre Möglichkeiten Bescheid wissen und eine breite Öffentlichkeit sensibilisiert werden kann.
18. Workshops in Schulen: Gewaltprävention sollte möglichst früh ansetzen – Workshops mit Schüler_innen zu den Themen Gleichstellung und Gewaltschutz sind deshalb unverzichtbar.
19. Macht teilen: Gewalt an Frauen ist untrennbar mit ungleichen Machtverhältnissen in der Gesellschaft verknüpft. Es braucht eine breites politisches Bekenntnis zu einer wirksamen Gleichstellungspolitik.
20. Einkommensschere schließen: Im EU-weiten Vergleich hat Österreich einen der größten Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen. Ökonomische Unabhängigkeit ist eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.
21. Laufende Kampagnen: Mit Filmen, Plakaten, Spots, Inseraten etc. muss kontinuierlich auf Geschlechterungleichheit und Gewalt an Frauen und Kindern aufmerksam gemacht werden.
Die Liste ließe sich noch erweitern – die unterschiedlichen Forderungen der Allianz zeigen, wie vielfältig die Arbeit auf diesem Gebiet ist. Dass nach wie vor ein nicht zu unterschätzender Anteil dieser Arbeit auf ehrenamtlicher Basis beruht bzw. drastisch unterfinanziert ist, ist nicht vertretbar angesichts der vorliegenden Daten zur Gewaltbetroffenheit.