Antifeminismus im ORF
Offener Brief an die Redaktion des ORF
Anlässlich der Ausgabe der Sendung "Im Zentrum" auf ORF 2 mit dem Titel "Verschärftes Sexualrecht? Eine Erregung!" (12.4.2015) hat der Österreichische Frauenring einen Offenen Brief an die ORF-Redaktion verfasst:
Sehr geehrte Redaktion,
bereits der Ankündigungstext zur Ausgabe von „Im Zentrum“ vergangene Woche ließ uns im Frauenring daran zweifeln, dass die geplanten Änderungen im Sexualstrafrecht im ORF seriös diskutiert werden würden.
„Wo sind die Grenzen des guten Geschmacks?“ – eine solche Frage hat beim Thema sexuelle Übergriffe nichts verloren, eher stellt sie sich bei der Auswahl der Diskussionsgäste. Ein Marcus Franz wird da aufgrund seiner sexistischen und gewaltverharmlosenden Aussagen in die Sendung eingeladen und darf seine kruden Thesen erneut ausbreiten. („Frauen wollen erobert werden. Und Eroberung setzt einen gewissen Widerstand voraus."; "Starke Frauen brauchen kein Strafrecht, die können sich selbst wehren.")
Auch Herr Ainedter hatte nichts inhaltlich Relevantes beizutragen, sondern fiel lediglich mit der wiederholten Verharmlosung sexueller Übergriffe auf. Immerhin schaffte er es aber, mit seinem aggressiven Diskussionsstil die Runde zu dominieren.
Warum werden diese Herren dennoch zu „Im Zentrum“ eingeladen?
Es ist ein Muster, das wir im ORF seit langer Zeit beobachten: Feministische bzw. frauenpolitische Fragen werden sowohl in den Nachrichtensendungen als auch in Diskussionsformaten großteils ausgeblendet; werden sie doch einmal zum Thema gemacht, so sind es die (medial allseits präsenten) antifeministischen Sager eines Herrn Gabalier oder Franz, die den Ton angeben. Feministinnen dürfen höchstens reagieren und sind gezwungen, sich zum wiederholten Male zur Bundeshymne, zum Binnen-I oder zu niveaulosen Pograpscher-Aussagen zu äußern.
„Ohne mich hätte es diese Sendung nicht gegeben“, sagte Marcus Franz gestern bei „Im Zentrum“ und hatte damit vermutlich Recht. Diesen Umstand halten wir für äußerst bedenklich, vor allem, da es sich um eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks handelt. Warum gab es kein „Im Zentrum“, als im vergangenen Jahr die weltweit größte Studie zu Gewalt gegen Frauen veröffentlicht wurde? Warum wird nicht darüber diskutiert, dass viele Vergewaltigungen gar nicht erst angezeigt werden und diese zumeist im sozialen Nahraum passieren? Wo bleibt eine Diskussion über die Möglichkeiten der Gewaltprävention?
Dass sexistische und frauenfeindliche Positionen nach wie vor viele gesellschaftliche Bereiche prägen, ist hinlänglich bekannt. Wenn sie dann auch noch (für die Quote?) „ins Zentrum“ gestellt werden, erhebt der ORF sie – bei einem Thema wie sexueller Gewalt – zu scheinbar relevanten Stimmen, die gehört werden müssen. Höchste Zeit, journalistische Verantwortung im ORF neu zu diskutieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Christa Pölzlbauer
Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings